Gentrifizierung und Clubsterben in Berlin?

20.4.2017 by Julia Schwenner

Berlin ist für Vieles bekannt – seinen unkonventionellen Charme, der in der Imperfektion liegt, seine Freiheit, seine Kreativität, seine Weite, die unzähligen Grünflächen, Kanäle und Seen im Berliner Umland, seine einzigartige Geschichte – und das sagenumwobene Berliner Nachtleben. Unsere Hauptstadt ist mittlerweile zum Mekka unter Touristen und Feierfreunden aus aller Welt avanciert. In Scharen landen sie jedes Wochenende in Tegel oder Schönefeld, nur um ein paar Nächte in Berlin zu verbringen und am Montagmorgen wieder zurückzufliegen. Berlin ist Clubkultur, Berlin ist Party. Das bringt einige Nachteile mit sich (lange Schlangen, volle Tanzflächen, …). Andererseits fließt so auch Geld in unsere Stadt, die zwar „sexy, aber arm“ ist, wie Berlins ehemaliger Bürgermeister, Klaus Wowereit, konstatierte.

Genügend feierwütige Partytouristen gibt es also in Berlin, die jedes Wochenende aufs Neue Geld in die Metropole bringen. Hinzu kommt ein andauernder, auf die Wirtschaftskrise der letzten Jahre zurückzuführender Strom an Einwanderern aus Südeuropa, und auch die Einheimischen schwingen gern mal das Tanzbein. An Gästen mangelt es den, laut Tourismusportal visitBerlin, ca. 1300 Clubs in Berlin also nicht. Weshalb ist dennoch in den Medien seit einigen Jahren regelmäßig vom ‚Berliner Clubsterben’ die Rede? Handelt es sich hier um eine Tatsache? Müssen wir uns Sorgen machen, dass Kulturgut und Wirtschaftskraft verloren gehen? Ist Berlins Zeit als Zentrum der Clubkultur und der elektronischen Tanzmusik abgelaufen? Oder ist das alles nur heiße Luft?

Aber fangen wir vorne an. Was bedeutet eigentlich ‚Clubsterben’? Clubsterben bezeichnet den Fall, dass Clubs aufgrund Geldmangels, fehlender Genehmigungen, mangelnder Sicherheitsstandards, Ärger mit den Anwohnern, Verlust des Grundstücks wegen Bauvorhaben großer Investoren usw. schließen müssen. Parties werden gestrichen, die Optionen für Clubgänger schmälern sich, und ich glaube, wir können wirklich behaupten, dass ein Stück Stadt- und Kulturgeschichte dabei verloren geht.

Aber wie sieht es konkret in Berlin aus? Manche Einrichtungen scheinen unantastbar – das Berghain zum Beispiel: die Lage ist zentral, jedoch akustisch unproblematisch, die Beliebtheit seit vielen Jahren ungebrochen. Doch andere Lokale mussten in de letzten Jahren umziehen oder sogar schließen:

Einer der größeren Verluste war das Stattbad Wedding, welches im Mai 2015 aufgrund einer fehlenden Nachtclublizenz (ups) und unzureichender Gebäudesicherungsmaßnahmen seine Türen für immer schließen musste. Das Horst Krzbrg hatte längere Zeit schon mit der Abwanderung an qualitativ hochwertiger Musik interessierter Kreativer aus der Musikbranche zu kämpfen, die einen Großteil der Stammgäste des Club ausmachten. Das Geld wurde knapp. Als dann noch in direkter Nachbarschaft Gewerbe- in Wohnraum umgewandelt wurde, war es im Februar 2013 endgültig aus.

Das Knaack, jahrzehntelang eine Berliner Institution, und das Icon fielen 2011/12 Neubauten in unmittelbarer Nachbarschaft ohne ausreichenden Lärmschutz zum Opfer – aufgrund eines Fehlers des Bauamts, das versäumt hatte, den Lärmschutz als Baubedingung zu stellen.

Der Garten des Golden Gates musste geschlossen werden, da das Grundstück der Stadt gehörte. Diese sah den Außenbereich als unzumutbar für die Nachbarn des Clubs an.

Selbst das berühmte Sisyphos wurde im Herbst 2014 aufgrund mehrerer Sicherheitsbedenken für einige Monate geschlossen, nach entsprechenden Umbauarbeiten allerdings wieder geöffnet.

Magdalena und Heideglühen mussten ihre zentralen Lagen in Kreuzberg bzw. Mitte verlassen und nach Treptow bzw. Moabit umziehen.

Last, but not least, möchte ich hier die Bar25 erwähnen, eine international bekannte Berliner Institution, die 2010 aufgrund der Spreeuferbebauung geschlossen werden musste. Allerdings eroberte sich die Gruppe das Areal in einem Bieterverfahren zwei Jahre später zurück, woraufhin sie dort den Club Kater Blau eröffnete.

Die Hauptprobleme liegen in Berlin also in rücksichtslosen Bauprojekten oder mangelnden Sicherheitsstandards der Clubs. Der Promoter und Moderator des Boiler Room Berlins, Michail Stangl, erklärt diese Entwicklung: „Der Großteil der Berliner Clubs operiert in einer Grauzone und kommt damit davon, weil die Berliner Administration es nicht schafft, das zu kontrollieren. Es mag eine Verschiebung der Prioritäten der Berliner Administration geben, was die kürzliche Maßregelung erklären würde.“

Dennoch ist es wohl übertrieben, vom ‚Berliner Clubsterben’ zu reden. Regelmäßig entstehen neue Clubs bzw. wird, wie im Falle der Bar25, dasselbe Lokal an anderer Stelle wiedereröffnet. Stangl sieht das allerdings kritisch: „Dadurch, dass Berlin mit all den sozio-ökonomischen Auswirkungen mehr und mehr eine Hauptstadt wird, wird es immer komplizierter, passende Orte zu finden—besonders in Neukölln, Kreuzberg und Friedrichshain. […] Wenn diese erhöhten Anstrengungen, das Nachtleben zu kontrollieren, weitergehen, wird es unmöglich, einen Club mit wenig Geld aufzumachen. Die meisten Gebäude- und Sicherheitsvorschriften machen einen Underground-Musik-Ort absolut unökonomisch. […] Die Sicherheit der Besucher, Angestellten und Musiker kommt ohne Zweifel immer zuerst und es stimmt, dass jede Verletzung dieser diszipliniert werden sollte. Was ein Überdenken benötigt, ist, wie bestimmte Gebäuderegelungen und Sicherheitsvorschriften erreicht und implementiert werden können, ohne dass die kulturfokussierte Arbeit von einem finanziellen Standpunkt aus komplett unmöglich erscheint.“ 

Auch Marc Wohlrabe von der Berliner Clubcommission, ein gemeinnütziger Verein, der sich der Unterstützung der Berliner Clubszene verschrieben hat, kann ein massives Clubsterben nicht bestätigen. „Der Begriff Clubsterben ist übertrieben“, meint er. Allerdings sei es tatsächlich so, dass für neue Bauprojekte immer wieder Berliner Institutionen weichen müssten. Die Stadt müsse smarter und analysierender planen, wo gebaut werden soll, fordert Wohlrabe.

Vom Berliner Clubsterben zu sprechen, mag also übertrieben sein. Dennoch müssen immer wieder auch alteingesessene und beliebte Clubs aufgrund mangelnder Sicherheitsvorkehrungen, versäumter Umbauten und rücksichtslos geplanter Bauprojekte weichen. Dies führt zum Verlust von Berliner Kultur und Geschichte und ist zudem schlecht für die heimische Wirtschaft.

Wenn sich jedoch die Kommunikation zwischen Clubbetreibern, dem Bauamt der Stadt, Investoren und Anwohnern verbessert, können entsprechende Sicherheits- und Lärmschutzvorkehrungen in einem fairen zeitlichen Rahmen getroffen und Bauvorhaben mit Rücksicht aufeinander geplant werden. So könnte dieser Entwicklung noch rechtzeitig Einhalt geboten werden. Denn in Berlin ist immer noch genügend Platz für alle.

 

- Julia Schwenner