Die Geschichte der elektronischen Musik – vom Störgeräusch zum Techno

2.2.2018 by Julia Schwenner

Elektronische Musik ist längst im Mainstream angekommen und findet sich mittlerweile in den unterschiedlichsten Genres überall auf der Welt. Doch wo kommt sie eigentlich her? Heute werfen wir einen Blick in die Vergangenheit und erforschen die Anfänge und die Evolution elektronisch produzierter Musik. 

Die Anfänge

Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde der Grundstein für die heutige elektronische Musik gelegt, als darüber diskutiert wurde, wie Musik für die Moderne gestaltet werden könne. Der italienische Futurist Luigi Russolo war vom großstädtischen Krach der Straßenbahnen und Autos begeistert. In seinem 1913 publizierten Manifest „L’arte dei rumori“ („Die Kunst der Geräusche“) propagierte er den „Geräuschton“ und eine Abkehr von reinen Klängen.

Die daraus entstehende Bewegung „The Art of Noise“, welche Kompositionen inspiriert vom mechanischen und elektrischen Hin und Her der Großstadt hervorbrachte, kann als Grundstein der heutigen Ravekultur bezeichnet werden. Die sogenannten Futuristen stellten selbstgemachte Boxen her, in die sie die Geräusche von Sirenen, Hörnern und Pfeifen einspielten. Somit kreierten sie bereits Techno – nur vorerst ohne die Einbeziehung von Beats.

1948 zerschnitten dann die Komponisten Pierre Schaeffer und Pierre Henry Magnetbänder und fügten sie wieder zusammen, um Kompositionen mit Klangstücken aus verschiedenen Quellen zu schaffen – ein erstes Beispiel für Sampling. Diese Tonbandcollage aus Alltagsgeräuschen markierte den Beginn der „Musique Concrète“, die einen entscheidenden Impuls in Richtung der elektronischen Musik gab. In den 1950er-Jahren perfektionierte der deutsche Komponist Karl-Heinz Stockhausen die Tonbandklebetechnik und produzierte zum ersten Mal rein technisch konstruierte Musik.

Karlheinz Stockhausen.

Die Siebziger

Erster Synth-Sound in Europa 

Die deutsche Band Kraftwerk vermischten bereits auf ihrem Album „Autobahn“ aus dem Jahr 1974 minimalistischen Pop und elektronisch erzeugter Musik. Dementsprechend begründeten sie den Stil, der später Electro genannt wurde.

Kraftwerk, Roboter, 1978.

Auch der italienische Disco-Produzent Giorgio Moroder setzte bereits in den 1970er-Jahren Synthesizer für repetitive Tanzrhythmen ein. Sein 1977 für Donna Summer produzierter Track „I Feel Love“ gilt als Meilenstein der elektronischen Tanzmusik.

In den späten siebziger und frühen achtziger Jahren wichen analoge Synthesizer dem digitalen Synthesizer und dem Sampler. Die ersten Sampler waren extrem teuer und kosteten teilweise mehr als 100.000 US-Dollar. Dies änderte sich Mitte der achtziger Jahre mit der Entwicklung von konstengünstigeren Varianten, was der elektronischen Musikproduktion ganz neue Wege ebnete. Jean Michel JarreTangerine Dream, Can, Neu! Oder Brian Eno leisteten hier beispielsweise wichtige Pionierarbeit. Auch die deutsche Band Einstürzende Neubauten oder die Schweizer Gruppe Yello experimentierten mit Geräuschen und elektronischen Klängen und brachten Innovationen im Bereich des Samplings und neue Rhythmusstrukturen.

Einstürzende Neubauten, live, 1990.

 

Industrial

Auf der Basis elektronischer Avantgarde-Musik und der „Musique concrète“ entwickelte sich in den 1970er-Jahren in Europa außerdem der Industrial-Sound (z.B. Throbbing Gristle, Cabaret Voltaire und SPK). Typisch für diese Richtung waren maschinenlärm-ähnliche Geräusche, häufig angereichert mit Samples oder Schreigesang. Im Vordergrund stand die Provokation, das Publikum sollte geschockt werden.

Viele Techno-Produzenten ließen sich später durch den Industrial-Sound inspirieren.

Die Achtziger

In der Zeit um 1980 gewann die elektronische Musik extrem an Popularität aufgrund der zunehmenden Verfügbarkeit synthetischer Klangerzeugungsmöglichkeiten. Insbesondere im Bereich der Club-Musik nahmen synthetisch produzierte Songs ab etwa 1980 eine stetig wichtigere Stellung ein und lösten den in den 1970er-Jahren üblichen, vornehmlich akustisch produzierten, Disco-Sound schnell ab.

EBM

Electronic Body Music ist ein Stil der sich zu Beginn der 1980er-Jahre hauptsächlich in Deutschland entwickelte. DAF, Liaisons Dangereuses oder Die Krupps nutzten im Rahmen der Neuen Deutschen Welle die neu entwickelten Sequenzer, um minimalistischen Sound zu kreieren, der sich in ganz Europa ausbreiten sollte. EBM beeinflusste die Entstehung des späteren Detroit Techno und New Beat sehr. Vom Synth-Pop (z.B. Depeche Mode) und EBM leiteten sich in den späten Achtzigern in Europa die Dance- und Trance-Musik ab.

Liaisons Dangereuses, Los Niños del Parque, 1982.

 

Chicago House

In den 1980er-Jahren entstand in den Vereinigten Staaten in der Diskothek „Warehouse“ in Chicago die House-Musik - eine Weiterentwicklung des 1970er-Jahre Disco-Sounds. Die frühen Chicago-House-Nummern wie „Love Can’t Turn Around“ waren noch durch eine gewisse Songstruktur mit Gesang und Dramaturgie gekennzeichnet. Als Begründer der House-Musik gelten der Chicagoer Dj Frankie Knuckles und Larry Levan vom Club Paradise Garage in New York.

 Larry Levan, Paradise Garage, New York, 1987.

 

Acid House

Bevor Techno zur Massenbewegung wurde, sorgte Ende der 1980er-Jahre Acid House, eine aus Großbritannien stammende, besonders harte und minimalistische Version des Chicago-House-Sounds, für Aufsehen (z.B. Farley Jackmaster Funk, Sleezy D or Bam Bam).

Sven Väth über die Acid-Bewegung: „Die Musik lud förmlich ein, sich gehen zu lassen. Es gab keine Struktur mehr, die Sounds gingen wild durcheinander, da gab es keinen Anfang und keine Ende, da konnte man nur noch pausenlos feiern“.

Farley Jackmaster Funk, I Need A Friend, 1988.

 

Detroit Techno

Die neuen Ansätze elektronischer Musikstile waren in den frühen 1980er-Jahren auch Inhalt von Charles Johnsons Radiosendung „Midnight Funk Association“ in Detroit. Johnson versuchte, zahlreiche Musikrichtungen in seiner Sendung zu vereinen - Hauptinspirationsquelle für die Detroiter Produzenten Juan Atkins, Derrick May und Kevin Saunderson. In der zweiten Hälfte der 1980er wandten die Detroiter Produzenten sich langsam der Chicagoer House-Musik zu. Der als „Detroit Techno“ bekannt werdende Stil orientierte sich außerdem stark am britischen Acid House und adaptierte dessen wesentliche Merkmale wie die harte 4/4-Bassdrum des Roland TR 909 und den Wegfall der Vocals. So wurde Detroit Techno zur Brücke zwischen europäischem Elektro und amerikanischer House Musik. Neu am Detroit Techno war jedoch die physikalische Unmittelbarkeit und sein Minimalismus. Kein Glamour wie bei Disco, keine direkte Botschaft und kein wirklicher Urheber. Die Musik ließ das Subjekt ebenso verschwinden, wie es der einzelne Mensch bereits in der Gesellschaft tat.

Model 500 - NO UFO'S, 1985.

 

Techno

In der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre entsteht Techno in Berlin als eine Verschmelzung mehrerer Stilarten: Als Basis dient der minimalistische, Bassdrum-betonte Grundrhythmus der House-Musik. Dazu kommen Elemente des Detroit-Techno aber auch der in den 1970er- und 1980er-Jahren vor allem in Europa entwickelten Stile elektronischer Musik wie Synth-Pop (Depeche Mode, Anne Clark), EBM (Front 242, Nitzer Ebb) New Beat und Post-Industrial (Cabaret Voltaire, Clock DVA). Bekannte Techno-DJs sind z.B. Marcel Dettmann, Monika Kruse, Chris Liebing, Boris oder Ben Klock. 

Boris - Rem, 2014.

Die Neunziger

Bis zum Beginn der 1990er-Jahre hatte sich die Bezeichnung „Techno“ weiträumig als Dachbezeichnung für elektronische Musik etabliert. Anfang der Neunziger folgte die Tech-House Welle und führte zu einer erneuten klareren Abgrenzung des Techno-Begriffs. Im Gegensatz zur sozialkritischen Einstellung früherer Interpreten der Techno-Bewegung, welche den post-industriellen Verfall, die städtische Anonymität und emotionale Kälte der Gesellschaft versuchten zu verarbeiten, war die Tech-House-Bewegung hauptsächlich Partykultur.

In den neunziger Jahren eroberte die elektronische Musik praktisch die ganze Welt. Verschiedene Elemente wurden aus unterschiedlichen Ländern aufgenommen, wie z.B. der englische Jungle, der auf komplexen Rhythmen aus der karibischen Musik basiert, oder Dub, abgeleitet von traditioneller mexikanischer Musik.

Ende der Neunziger entstanden neue Genres wie Tribal, die aus Tribal-Sounds und Percussions entstanden. Weitere Genres wie Progressive und Deep House wurden ebenfalls populär.

Azari & iii, Rechless With Your Love. Deep House. 

 

Gegenwärtig hat die elektronische Musik weltweit Millionen von Anhängern, welche diese Klänge feiern, die von Maschinen und Computer produziert werden.

 

- von Julia Schwenner